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Nachteilsausgleich und Notenschutz bei LRS und Rechenschwäche

Schüler und Schülerinnen mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf schulischen Nachteilsausgleich und Notenschutz (z.B. Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen). Ein Nachteilsausgleich für Kinder und Jugendliche mit Teilleistungsschwächen soll ein gemeinsames Lernen über die gesamte Schullaufbahn und eine faire Leistungsbeurteilung erleichtern und entspricht somit dem Grundsatz der schulischen Inklusion. Lesen Sie in diesem Beitrag, welche Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes bei Legasthenie und Dyskalkulie bestehen, welche Schüler unter welchen Bedingungen davon profitieren und warum ein schulischer Nachteilsausgleich und Notenschutz bei LRS und Rechenschwäche nicht immer von Vorteil sind.

Was bedeutet Nachteilsausgleich?

Bei einem Nachteilsausgleich geht es darum, Schüler und Schülerinnen so zu unterstützen und zu bewerten, dass sie trotz ihrer Beeinträchtigung ihren sonstigen Begabungen gemäße Leistungen in den verschiedenen Schulfächern erbringen können. Die Regelungen im Bereich LRS und Rechenschwäche sind vom Prinzip her vergleichbar mit den Möglichkeiten der zusätzlichen schulischen Unterstützung von Kindern mit Behinderungen. Lesen Sie hierzu die Empfehlungen des Sozialverbands VdK Deutschland e.V. zum schulischen Nachteilsausgleich in den Bereichen Sprache, Hören, Sehen, körperliche/motorische Entwicklung, emotionale/soziale Entwicklung und Autismus.

Was bedeutet Notenschutz?

Wird eine Lese-Rechtschreibstörung förmlich festgestellt und auf Antrag der Erziehungsberechtigten bzw. des volljährigen Schülers berücksichtigt, kann Notenschutz greifen. Dabei werden die Rechtschreibleistungen im Fach Deutsch, in den Fremdsprachen und in den übrigen Schulfächern entweder zurückhaltend gewichtet oder nicht bewertet. So kann beispielsweise auf den sonst bei Rechtschreibfehlern üblichen Punktabzug in Klausuren der Oberstufe verzichtet werden. Diese Abweichungen von den allgemeinen Maßstäben der Leistungsbewertung lassen sich mit Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) rechtlich begründen. Darin steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Wie sind Nachteilsausgleich und Notenschutz geregelt?

Welche Formen des Nachteilsausgleichs bei LRS bzw. Rechenschwäche in Betracht kommen, steht in den sogenannten Legasthenie-Erlassen der einzelnen Bundesländer. Einige Erlasse (z.B. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen) schließen Rechenschwäche ein, andere nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass in diesen Bundesländern ausgleichende Maßnahmen bei Rechenschwäche nicht möglich sind: Lehrer sind zur individuellen Förderung aller Schüler verpflichtet. Dies kann auch eine individuelle Leistungsbewertung erforderlich machen, denn man kann nicht Gleiches mit Ungleichem vergleichen. Lehrer wissen das und die meisten nutzen ihre pädagogischen Ermessensspielräume. Die in den Erlassen aufgelisteten Formen des Nachteilsausgleichs sind als Anregungen bzw. Empfehlungen zu verstehen. Es handelt sich um Kann-Formulierungen ohne Rechtsanspruch. An einem Nachteilsausgleich interessierte Eltern und Schüler sollten ihr Anliegen daher nicht als Forderung formulieren. Besser ist ein Dialog auf Augenhöhe.

Wege zum Nachteilsausgleich

Nicht jeder Schüler mit Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen kann und sollte einen Nachteilsausgleich in Form eines Zeitzuschlags bei zu erbringenden schriftlichen Leistungen, einer stärkeren Gewichtung mündlicher Leistungen, einer Bereitstellung von Hilfsmitteln oder gar eines Verzichts auf die Bewertung der Rechtschreibleistungen (Notenschutz) erhalten. Schwierigkeiten gehören zu allen Lernprozessen. Sie sind dafür da, überwunden zu werden. Kinder können an Hürden wachsen, wenn sie merken, dass sich aus Fleiß Leitern bauen lassen. Zu frühe und eigentlich nicht erforderliche Sonderbehandlungen schaden, weil sie Kinder demotivieren und ausbremsen. Warum viel Zeit in zusätzliche Lese-, Rechtschreib- oder Rechenübungen investieren, wenn es dank Sonderstatus einfacher geht?

Die Möglichkeit eines offiziellen Nachteilsausgleichs bleibt Schülern vorbehalten, bei denen ein Kinder- und Jugendpsychiater oder Psychotherapeut eine Lese-, Rechtschreib- oder Rechenstörung nach ICD-10 diagnostiziert hat. Im Vergleich zu einer Schwierigkeit oder Schwäche handelt es sich bei einer Störung um eine medizinische Diagnose, d.h. um einen Zustand mit Krankheitswert. Betroffene Schüler und Schülerinnen haben grundlegende, nicht mit bloßem Üben zu lösende Schwierigkeiten im jeweiligen Lernbereich. Insbesondere eine Lese-Rechtschreibstörung kann sich negativ auf die Psyche des Kindes oder Jugendlichen auswirken, weil sie zu Misserfolgserlebnissen in fast allen Schulfächern führt. Ein Schonraum in Form eines Nachteilsausgleichs und eine Aussetzung der Benotung kann bei diesen Schülern nicht nur sinnvoll, sondern dringend geboten sein.

Hat ein Kinder- und Jugendpsychiater oder Psychotherapeut eine Lese-, Rechtschreib- oder Rechenstörung festgestellt, erhält das Kind bzw. der Jugendliche auf Wunsch ein Attest bzw. Gutachten. Meist ist es die schulpsychologische Beratungsstelle, die auf Grundlage dieses Schriftstücks entscheidet, ob ein Nachteilsausgleich gewährt werden kann. Welche besonderen Formen der Leistungserfassung und -beurteilung für den betreffenden Schüler sinnvoll sind, entscheiden dann die zuständigen Lehrer. Die Abläufe und Zuständigkeiten können regional und von Schule zu Schule variieren.

Vorteile eines Nachteilsausgleichs

Gefragt nach den Vor- und Nachteilen eines Nachteilsausgleichs, fällt den meisten Schülern zunächst nur Positives ein: mehr Zeit in Prüfungen, leichtere Aufgaben, stärkere Gewichtung mündlicher Beiträge, Verzicht auf lautes Vorlesen in der Klasse, Nutzung des Wörterbuchs in Klassenarbeiten, bessere Bewertungen als zuvor. Dies alles kann bei betroffenen Kindern und Jugendlichen zu einer großen Entlastung führen, weil die Angst vor Misserfolgserlebnissen und schlechten Noten abnimmt. Für viele Kinder mit isolierten Lernstörungen ist es zudem nur dank Nachteilsausgleich möglich, die erforderlichen Noten für den Übertritt auf eine ihnen gemäße weiterführende Schule zu erreichen.

Nachteile eines Nachteilsausgleichs

Wenn einzelne Kinder anders bewertet werden als der Rest der Klasse oder sonstige vermeintliche Vorteile genießen, kann das zu Spannungen in der Klassengemeinschaft führen. Wichtig ist, dass die Lehrkraft den Sinn und die Berechtigung eines Nachteilsausgleichs in einfühlsamer und überzeugender Weise erklärt. Ein Nachteilsausgleich ist keine Bevorteilung des legasthenen oder rechenschwachen Kindes gegenüber seinen Klassenkameraden. Er soll vielmehr denjenigen Nachteil ausgleichen, den die Lernstörung mit sich bringt. Auf diese Weise kann Chancengleichheit entstehen.

Ausgleichsmaßnahmen dürfen nicht dazu führen, dass das Kind den Eindruck erhält, dass seine Leistungen im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen ohnehin nicht zählen und es daher egal ist, ob es sich weiter anstrengt oder nicht. Ein ressourcenorientiertes Vorgehen, ein beständiger Blick auf die Fortschritte des Kindes und authentische Wertschätzung für seine Bemühungen sind wichtig für den Erhalt der Lernmotivation.

Ein Nachteilsausgleich kann sich zudem negativ auswirken, wenn er in einer Zeugnisbemerkung festgehalten ist und dieses Zeugnis für Bewerbungen verwendet wird. Ob ein entsprechender Vermerk auf dem Zeugnis erscheint, steht meist im Legasthenie-Erlass. So sieht z.B. der Erlass von Schleswig-Holstein diesen Satz vor: „Die Rechtschreibleistungen entsprechen nicht den Anforderungen; sie sind in den Fachnoten nicht enthalten“. Mit Urteil vom 29. Juli 2015 (BVerwG 6 C 33.14) hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage dreier Abiturienten aus Bayern abgewiesen, die sich durch einen ähnlichen Zeugniseintrag diskriminiert fühlten. Der Richter argumentierte, dass die Kläger mit ihrer Entscheidung für den Notenschutz die allgemein geltenden Bewertungsmaßstäbe für sich außer Kraft gesetzt hätten. Dies stelle u.a. eine Ungleichbehandlung mit anderen Legasthenikern dar, die auf den Notenschutz verzichteten. Daher sei der Zeugnisvermerk rechtlich zulässig.

Nachteilsausgleich und Notenschutz allein genügen nicht

Zeitgleich zum Nachteilsausgleich muss das Kind eine individuelle Förderung erhalten, idealerweise in Form einer integrativen Lerntherapie. Erfolgserlebnisse mit der Schriftsprache bzw. dem Rechnen, mögen sie anfangs noch so klein sein, sind für den Erhalt bzw. den Aufbau eines positiven Selbstbilds und einer förderlichen Lernmotivation dringend erforderlich. Ohne gleichzeitige Therapie der Lernstörung können Ausgleichsmaßnahmen die Schwächen des Schülers und sein negatives Selbstbild verfestigen. Im ungünstigsten Fall gelangt das Kind zu der Überzeugung, dass seine Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen unveränderlich sind und dass sich selbst seine Lehrer damit abgefunden haben. In manchen Bundesländern (z.B. Niedersachsen) ist daher laut Erlass ein zeitweiliger Verzicht auf die Bewertung von Lese-, Rechtschreib- und Rechenleistungen nur während einer Förderphase möglich. Dieser Notenschutz und alle anderen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind immer wieder individuell auf das Kind und seine Fortschritte abzustimmen, damit es gleichermaßen entlastet und gefördert wird.

Ohne Diagnose zu ausgleichenden Maßnahmen

Manche Eltern scheuen den Gang zu einem Kinder- und Jugendpsychiater bzw. Psychotherapeuten, der für eine medizinische Diagnose (Lese- und Rechtschreibstörung, Rechenstörung) erforderlich ist und ohne den ein offizieller Nachteilsausgleich in der Regel nicht möglich ist. Oft befürchten sie eine Etikettierung bzw. Stigmatisierung ihres Kindes als „lernbehindert“. Diese Eltern sollten wissen, dass Lehrer viele ausgleichende Maßnahmen nach eigenem Ermessen einleiten können. Auf eine medizinische Diagnose sowie einen beantragten und offiziell genehmigten Nachteilsausgleich kann im Rahmen dieser pädagogischen Spielräume verzichtet werden.

Wohin wenden bei Fragen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz?

Bei Fragen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz sollten Sie zunächst den Legasthenie-Erlass Ihres Bundeslandes aufmerksam lesen. Dort sind die geltenden Regelungen festgehalten. Informationen aus dem Erlass können dann Grundlage für ein Gespräch mit der Lehrkraft für Deutsch bzw. Mathematik sein. Diese wird das an Ihrer Schule übliche Verfahren bei Legasthenie bzw. Dyskalkulie kennen und Ihnen bei Bedarf die für Ihren Wohnort zuständigen Ansprechpartner bzw. Anlaufstellen nennen können. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aufgrund der regional unterschiedlichen Regelungen keine Auskünfte erteilen können.

Weitere Informationen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz

Lesen Sie auch unseren Beitrag zum „Nachteilsausgleich und Notenschutz bei bei ADS/ADHS“.

Fort- und Weiterbildung im Fachgebiet LRS und Dyskalkulie

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