Was Kinder brauchen
Bei meinem letzten Klassentreffen waren wir uns einig: Wer Lehrer hatte, die mit Augenmaß lobten, hat sich mehr zugetraut und auch mehr erreicht. Schulkinder profitieren am meisten von Lehrkräften, die mehr loben als ermahnen, das Gute im Kind sehen und Begabungen behutsam fördern. Die Anerkennung und das Zutrauen der Lehrkräfte sind von unschätzbarer Bedeutung, insbesondere für leistungsschwache, unsichere und zu Selbstzweifeln neigende Schüler.
Was Lob bewirkt
Lob kann anspornen, Selbstbewusstsein und Zuversicht entfachen und einfach nur glücklich machen. Mutlosen Kindern kann ein anerkennender Hinweis auf einen Teilerfolg helfen, das große Ziel wieder zu sehen. Ein lobendes Wort signalisiert dem Kind, dass es auf einem guten Weg ist. Es gibt Orientierung und Kraft für den nächsten Schritt. Welche Aussagen und Handlungen empfinden Kinder als Anerkennung?
Echtes Lob
Ein echtes Lob ist erfüllt von Freude über einen Erfolg oder eine Anstrengung. Es kommt aus dem Bauch. Wann immer Sie dieses Glücksgefühl verspüren, sollten Sie es mitteilen: „Ich freue mich, dass du dich heute zweimal gemeldet hast“ oder „Ich habe gemerkt, dass du deine Vokabeln gelernt hast“. Manchmal wirkt ein nonverbales Lob überzeugender als der größte Redeschwall. Klopfen Sie dem Kind anerkennend auf die Schulter, halten Sie den Daumen in die Höhe, finden Sie Ihre ganz persönliche Art Lob auszudrücken. Nur wenn Sie sich wohl in Ihrer Haut fühlen, sind Sie authentisch.
Unechtes Lob
Wenn Lob nicht von Herzen kommt, kann es unglaubwürdig klingen, enttäuschen und demotivieren. Unechtes Lob kommt aus dem Kopf. Es verfolgt eine Absicht. Häufig steckt getarnte Kritik oder gar Nichtachtung dahinter. „Na bitte, es geht doch!“ ist voller Ungeduld, „Warum nicht gleich so?“ klingt vorwurfsvoll und ist wohl auch so gemeint, „Siehst du: Du musst nur wollen, dann klappt es auch“ unterstellt Schülern mangelhafte Anstrengungsbereitschaft und „Klasse! Selbst Peter hat jetzt sein Buch gefunden“ stellt das Kind bloß und offenbart Geringschätzung. Diese Aussagen kränken. Sie sind nicht dazu geeignet, das Beste aus einem Schulkind zu holen.
Nicht zu wenig und nicht zu viel
Lob ist wie Dünger: Wohldosiert kann es ein zartes Pflänzchen zu einem Baum mit tiefen Wurzeln heranwachsen lassen. Zu freigiebig ausgeteilt, kann es eine ganze Ernte zunichte machen. Loben Sie sparsam. Wenn Sie jede Kleinigkeit bejubeln, meint das Kind, die Spitze des Berges bereits erreicht zu haben. Die Botschaft muss lauten: „Es lohnt sich, weiter am Ball zu bleiben. Da ist noch mehr drin!“. Zu viel Anerkennung kann manche Kinder unter Druck setzen und Angst vor Klassenarbeiten auslösen. Bemessen Sie Ihr Lob nach den vergangenen Leistungen und Bemühungen eines Kindes. Vergleichen Sie es weniger mit seinen Klassenkameraden, sondern mehr mit sich selbst. Was für das eine Kind selbstverständlich ist, ist für das andere eine Herausforderung, deren Meisterung echtes Lob verdient.
Detailliert und uneingeschränkt loben
Sagen Sie genau, was Sie mit Ihrem Lob meinen. „Deine Schrift ist heute ganz besonders ordentlich. Ich kann alles gut lesen und du bist immer auf der Linie geblieben“ ist besser als ein knappes „Schön!“, das das Kind nicht einordnen kann. Achten Sie darauf, dass Sie ohne Einschränkung loben: „Dein Aufsatz ist sehr spannend, aber deine Schrift ist eine Katastrophe“ macht das ursprüngliche Lob zunichte. Lassen Sie das Lob isoliert stehen oder ersetzen Sie den Nebensatz mit „und das mit der Handschrift bekommst du auch noch hin“.
Lob verschriftlichen
Viele britische Grundschulen veranstalten jeden Freitag eine Versammlung, die so genannte „awards assembly“. In einem feierlichen Rahmen werden die in der zu Ende gehenden Woche unter Beweis gestellten Leistungen und sozialen Fähigkeiten der Kinder mit Auszeichnungen gewürdigt. Diese Zeremonie soll den Gemeinschaftssinn und die Motivation fördern. Stellen Sie Urkunden für individuelle Leistungen aus. Achten Sie darauf, dass jedes Kind mindestens einmal im Halbjahr auf diese Weise geehrt wird.
Lob statt Kritik
Jeder Lehrer weiß, wie wichtig Lob ist. Dennoch wird ein großer Teil der Unterrichtszeit mit Zurechtweisungen und dem Androhen von Konsequenzen verbracht. Das sichert dem Kind viel Aufmerksamkeit und meist auch Anerkennung seitens der Klassenkameraden. Kritik kann wie Brandbeschleuniger wirken: Mit jeder Zurechtweisung verstärkt das Kind sein störendes Verhalten, um Sie erneut aus der Reserve zu locken.
Insbesondere in Grundschulen hat sich die Strategie „Ignorieren mit positivem Modell“ bewährt. Treten Unterrichtsstörungen auf, verzichtet die Lehrkraft auf Ermahnungen und benennt stattdessen eine positive Alternative. Wollen Sie mit dem Unterricht beginnen und einige Kinder schwätzen noch, sagen Sie: „Zwei Tischgruppen haben schon ihre Federtaschen ausgepackt. Die sind aber schnell!“ Weniger Kritik bei unerwünschtem Verhalten und mehr Lob für erwünschte Verhaltensweisen sind Wohltaten für Kinder und Lehrer. Und das Beste ist: Wer gelobt wird, lobt seinerseits. Auf diese Weise werden Ihre Worte und Taten eines schönen Tages wie ein Bumerang zu Ihnen zurückkehren.